Weder analog noch digital

remnant from immobile times

Nikolai Horn spricht in der FAZ (27.12.2013) von der „digitalen Kluft“, wonach im „virtuellen Raum“ Handlungsweisen, die im analogen Raum als schwere Regelverstöße anerkannt würden (z.B. Ladendiebstahl), – wenn überhaupt – als Kavaliersdelikte (z.B. illegale Downloads) aufgefasst würden. Er weitet dieses Unverständnis der „digitalen Kluft“ auch auf staatliches Handeln aus (Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, NSA-Spähskandal), und fordert die Ausweitung rechtsstaatlicher Prinzipien auf den „virtuellen Raum“ (Entwicklung des IT-Grundrechts durch das BuVerfG 2008). Um das Prinzip zu verdeutlichen, aktualisiert er nach Kant den kategorischen „Netz-Imperativ“: „Handle im Netz gemäß denjenigen Grundsätzen, von denen du zugleich wollen kannst, dass sie als handlungsregelnde Maßstäbe auch im analogen Leben gelten!“ Der Vorschlag ist grundsätzlich zu begrüßen. Der entscheidende Denkfehler besteht darin, analogen und digitalen Raum als GETRENNTE Sphären zu betrachten. Diese – immer noch – weit verbreitete Auffassung entspricht nicht mehr dem Faktischen, sondern gehört in eine frühere internetgeschichtliche Phase, die Horn auch begrifflich anhängt, wenn er bspw. vom „Cyberspace“ spricht; eine Kategorie, die als veraltet gelten darf. Wenn man davon ausgeht, dass Bezeichnungen dem zu Bezeichnenden zeitlich immer nach-folgen, dann bedeutet das für das Phänomen Internet Folgendes: Längst ist die Rede von der „erweiterten Realität“ („augmented reality“) oder dem „Internet der Dinge“. Das heißt, wenn man bereits in der Lage ist, die Verschmelzung der, um bei Horn zu bleiben, analogen und virtuellen Welt, zu begreifen, dann bedeutet das für Horns Forderung, dass es weniger um die Übertragung „analoger Handlungsanweisungen“ auf den digitalen Raum gehen kann. Vielmehr muss grundsätzlich überdacht und verabredet werden, welche rechtlichen Regelungen in diesem EINEN Raum gelten sollen. Denn klar ist, dass dieser neue Raum nicht nach dem status quo ante organisiert werden kann. Wie es im Untertitel bei Horn eben auch schon anklingt: „Das Internet fordert dazu auf, die Grenzen des „Gerechten und Guten“ neu zu definieren“. Diese Neudefinition wird nur global erfolgreich umzusetzen möglich sein. Seinem Prinzip nach kann das Internet nicht vor nationalen Regelungen Halt machen. Kants Idee einer Weltöffentlichkeit scheint bedenkenswerter denn je.