ARD und ZDF verfehlen ihren Auftrag, sagt Wolfgang Herles. Sie unterwerfen sich ausnahmslos dem Dogma der Quote. Dadurch diktiert der Mehrheitsgeschmack die Programminhalte. Statt Bildung und Kultur laufen Krimis, Talk und Fußball. Der Ex-ZDF-Mann fordert nicht nur ein Ende des Quotendogmas, sondern auch das Ende des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
40 Jahre lang war Wolfgang Herles für die öffentlich-rechtlichen Anstalten tätig. Noch im letzten Jahr moderierte er für das ZDF die Literatursendung „Das blaue Sofa“. Als er nun am Montag Abend am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin darüber sprechen wollte, „wie ARD und ZDF ihren Auftrag verfehlen“, so ließ das auch erwarten, hier rechne einer nach seinem Ausscheiden mit dem alten Arbeitgeber ab. Interesse gab es. Der Saal war mit geschätzten 150 Personen gut gefüllt. Die meisten im gleichen Alter wie Herles oder älter. Vielleicht waren die Jüngeren noch im Berliner Zentrum auf der re:publica.
Herles’ polemische Abrechnung war mehr als das Kritikmuster, früher war alles besser. Nicht erst nach seinem Ende als langjähriger Moderator und Leiter des ZDF-Kulturmagazins „aspekte“ begann die Verblödungsspirale. Wer Herles hörte, musste den Eindruck bekommen, schon die letzten Jahrzehnte wären für ihn ein steter Abwehrkampf gewesen gegen das nivellierende Dogma der Quote, dem die Programmverantwortlichen alles andere untergeordnet hätten. Historisch begann das Elend mit dem Einstieg des Privatfernsehens, was Herles zu Beginn durchaus begrüßt hatte, hoffte er doch, ARD und ZDF würden sich abgrenzen und das Niveau heben. Doch stattdessen erfolgte eine Orientierung an den Privaten einschließlich des Quotensystems.
„Mainstream-Pseudo-Unterhaltungskultur“
„Es ist leichter, im Vatikan über das Dogma der unbefleckten Empfängnis zu diskutieren als in den Anstalten über das Dogma der Quote.“, so Herles. Die Quote ist die Währung. Was zur Folge habe, dass die Programminhalte am Massengeschmack ausgerichtet würden. Eine Diktatur der Mehrheit, die ein gleichförmiges seichtes, bloß unterhaltendes Programm erzeuge, in dem Krimis, Talkshows und Fußball dominierten. Beim ZDF gebe es z.B. keine echte Wirtschaftssendung; „WISO“ sei ein Magazin für Bausparer und Schnäppchenjäger. Entsprechend wenig Gefallen fand er an der Neuausrichtung von „aspekte“. Zwar hätte man jetzt 15 Minuten mehr Sendezeit. Aber die fülle man mit Bandauftritten wie den Toten Hosen. Gelächter im Publikum. Das neue „aspekte“ sei „Mainstream-Pseudo-Unterhaltungskultur“ und nicht mehr.
Böhmermann planscht nur im Mainstream
Scharf ging Herles auch mit der ZDF-Satire ins Gericht. In der „heute-Show“ werde ein Komiker zum Politik-Anchorman. Dabei bestätige die „heute-show“ so oft nur die Vorurteile des Publikums, wie z.B. Politiker seien blöd und korrupt. Herles selbst schlug später auch in diese Kerbe, als er über den auch mit Politikern besetzten Rundfunkrat herzog, „Rundfunkräte sind blutige Amateure. Die freuen sich, wenn sie mit Thomas Gottschalk Mittag essen dürfen und hinterher ein Autogramm bekommen.“ Das hätte vielleicht auch das Zeug zum Witz in der „heute-show“ gehabt. Zum Fall Jan Böhmermann hatte Herles bloß zu sagen, „er hat immer nur im Mainstream geplanscht. Dass er jetzt zuviel Wasser geschluckt hat als ihm lieb ist, liegt daran, dass er sich mit Erdogan angelegt hat.“ All das komme davon, wenn man Politik zur Unterhaltung schlage.
„Ich gehöre nicht zum Mainstream“, sagte Herles über Herles. Das bezog er nicht nur zeitlich auf sein Ende bei den „angepassten, gefallsüchtigen Mainstreammedien.“ Unangepasst sei er schon in seiner Zeit als ZDF-Studioleiter in Bonn gewesen. Das wurde ihm auch zum Nachteil in der Ära von Kanzler Kohl, obwohl er auf einem schwarzen Ticket gefahren sei, wie er erwähnte. Doch der politische Druck damals sei ihm lieber gewesen als das Quotendogma von heute. Denn am Argument der Quote komme niemand vorbei; dem politischen Druck dagegen hätte man sich entziehen können.
Gebühren abschaffen
Seinen Rundumschlag schränkte Herles zwar auf das Hauptprogramm des Fernsehens ein. Klar machten arte, Phoenix und 3sat gutes Programm, aber eben nicht im Hauptprogramm und das sei entscheidend. Zur Verdeutlichung zog er dann ausgerechnet die Quotenmessung heran: „Kulturzeit“ in 3sat käme vielleicht auf 100.000 Zuschauer, „aspekte“ erreichte 1 Million Zuschauer. Auch Deutschlandradio mit seinen Wellen und weitere Hörfunkwellen machten sogar ein hervorragendes Programm. Aber mit 70 öffentlich-rechtlichen Radiosendern sei das auch viel zu viel. Dabei schien er den Umstand, dass viele dieser viel zu vielen eben regionale ausgerichtete Programme sind, völlig auszublenden.
Naheliegend, dass Herles dafür plädierte, dass ARD und ZDF reformiert gehörten. Weg vom Dogma der Quote und sie zwingen, ihrem Auftrag nachzugehen, den Herles vor allem in Bildung und Kultur sieht. Sein weitestgehender Vorschlag sei, ARD und ZDF als Stiftung neu zu gründen, steuerfinanziert und nicht mehr über eine Zwangsgebühr.
„Von wegen: Lügenpresse“
Eingeladen war Herles im Rahmen der Reihe „Von wegen: Lügenpresse. Analysen und Ansichten zur Renaissance eines Kampfbegriffs“ des Otto-Suhr-Institut-Clubs, die noch bis zum 20. Juni geht. Zu dem Thema sagte Herles soviel, dass die Mainstreammedien nicht lügen würden. Nur, ihre Denkschablonen hätten nichts mehr mit gesellschaftlich vorherrschenden und akzeptierten Vorstellungen zu tun, was sich an der Berichterstattung über Merkels Flüchtlingspolitik und der demonstrativen Willkommenskultur gezeigt hätte. Eine Änderung sei hier erst durch die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln eingetreten.
Zwischen Herles und dem überwiegend älteren Publikum herrschte große Einigkeit. Herles’ Polemik stieß auf offene Ohren, weil sie genau das zu bestätigen schien, was viele von ihnen ja immer schon gewusst hatten, und sich für die Blicke hinter die Kulissen bedankten. Was Herles’ hier vortrug, war die komprimierte Fassung seiner in Buchform im letzten Jahr erschienenen Kritik „Die Gefallsüchtigen: Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik“ (Knaus-Verlag 2015).