Das Ende der digitalen Rationalität. Byung-Chul Han wendet sich wieder dem kommunikativen Handeln zu

Byung-Chul Han, der aktuell heiß wie nix gehandelt wird, wenn man die Schlagzahl seiner Gastbeiträge in diversen Medien zugrunde legt, diagnostizierte vor zwei Wochen in der FAS am Beispiel Pegida die Krise der Gemeinschaft. Diese Krise entstünde vor allem, weil die Bereitschaft zum Zuhören in Zeiten der sozialen Medien radikal abnehme. Zuhören sei konstitutiv für die Bildung des Öffentlichen und der öffentliche Raum wiederum konstitutiv für eine Gemeinschaft. Kurz, „Gemeinschaft ist Zuhörerschaft“. Die Krise der Gemeinschaft, also der Zerfall des gemeinsamen öffentlichen Raums, wird ausgelöst durch das Internet, da es sich eben nicht als ein Raum des gemeinsamen, kommunikativen Handelns manifestiere, sondern vielmehr zu „Ausstellungsräumen des Ich, in denen man nur für sich wirbt“, zerfalle.

„Auf Facebook werden keine Probleme genannt, die wir gemeinsam diskutieren könnten. Es werden vielmehr Werbungen gesendet, die keiner Diskussion bedürfen und nur zur Profilierung des Senders, des werbenden Egos dienen. (…) In der Gemeinschaft des Like begegnet man nur sich selbst oder seinesgleichen. Da ist kein Diskurs, kein Protest möglich.“

Dieses Urteil ist insofern interessant, als dass Han 2013 in dem schmalen Bändchen „Digitale Rationalität und das Ende des kommunikativen Handelns“ noch viel optimistischer war. Damals stellte er am Ende des Bandes im Anschluss an Vilém Flusser die These auf, „Der Privatraum ist selbst die Republik. (…) Der Mausklick ersetzt den Diskurs. Beteiligung und Betrachtung fallen zusammen.“ Han konnte sich damals sogar vorstellen, dass damit die sozialen Medien die periodischen Wahlen überflüssig machen würden. „Womöglich ersetzt der Gefällt-mir-Button den Wahlzettel.“ Ganz am Schluss stellte er in Aussicht: „Ob das eine Utopie oder eine Dystopie ist, ein Traum oder Albtraum, lässt sich heute nicht eindeutig beantworten.“

Zwei Jahre später beantwortet Han es selbst. Er ist, wie oben gesehen, pessimistisch. Die (aktuell) 160.000 Likes auf der Pegida-Facebook-Seite hätten nach der 2013er Logik, dass der Gefällt-mir-Klick den Diskurs ersetzt, bedeutet, dass sich auf der Pegida-Facebook-Seite 160.000 an einem politischen Diskurs beteiligen, also Ausdruck eines Protests sind. Nach Hans 2015er Logik begegnen 160.000 nur sich selbst. Kein Diskurs, kein Protest, sondern 160.000mal dasselbe Leiden. Nach Hans neuer Logik der sozialen Medien als Ausstellungsräume des Ichs, verstärken die 160.000 nur die gesendete Werbung. Zuhören fände dagegen nicht statt. Das wiederum las Han ab an der vor zwei Wochen noch weitestgehend richtigen Beobachtung der Verweigerung der Debatte, des Zuhörens, des Miteinander-Sprechens auf Seiten der Pegida-Bewegung gegenüber klassischen Medien / Sendern. Bei seiner Analyse scheint Han aber bspw. außer Acht zu lassen, dass es auf der Pegida-Facebook-Seite neben den Likes eine enorme Aktivität beim Kommentieren und Teilen der geposteten Inhalte gibt. Allein der aktuelle Post wurde über 3.100mal kommentiert und über 500mal geteilt. Über die Qualität ist damit freilich noch nichts gesagt. Aber es gibt dialogische Elemente im Design, die dem Zuhören und Miteinander-Sprechen näher kommen.

Es bleibt festzuhalten, dass für Han Pegida so etwas wie eine Facebookparty ist und Facebook und andere sozialen Medien keine Öffentlichkeit herstellen. Die neue Form der Demokratie wie Han sie 2013 noch optimistisch bspw. bei Twitter annehmen wollte, nannte er Präsenzdemokratie, da sie direkter als direkte Demokratie sei. 2015 ist von dieser Form nichts mehr bei ihm zu lesen:

„Die digitale Kommunikation vernetzt mich, aber sie vereinzelt und isoliert mich gleichzeitig. Sie beseitigt zwar die Distanz, aber sie erzeugt keine Nähe, keine Nachbarschaft.“

Bis heute scheint Han Twitter nicht zu nutzen. Interessant wäre, ob er bei aktiver Nutzung eher zur 2013er oder 2015er Logik tendieren würde.